Der Sekretär
Wolfgang Fleischer war – nach den Worten Doderers – der „Secretarius mit dem hässlichen Namen“. So jedenfalls gab Fleischer selber Doderers Kennzeichung seiner Person wieder – in der von ihm verfassten Doderer-Biographie. Manchen erschien diese Biographie als eine Art Revanche gegenüber dem Älteren. Selbst wenn dieser Eindruck richtig gewesen sein sollte, so würde er jedenfalls die Enge des Verhältnisses zwischen den beiden unterstreichen. Und nicht etwa mindern.
Seit Herbst 1963 fungierte Fleischer als Doderers rechte Hand. „Ich kam zwei- bis dreimal wöchentlich gegen fünf Uhr nachmittags“, so beschrieb es Fleischer, „wir nahmen einen Kaffee und/oder Drink (…) und danach begann die meistens rund zwei- bis dreistündige Arbeit: er diktierte, ich schrieb auf dem größeren Schreibtisch im ersten Zimmer (‚Salon’) mit seiner schrecklichen uralten Koffermaschine mit den beiden Höhenschaltungen.“ Das Verhältnis war ein technisch-praktisches. Aber doch vertraulich. So sehr, dass es Fleischer schon bald unternahm, selber Brief-Antworten Doderers im Auftrage zu verfassen. Ja sogar sie stellvertretend zu signieren. Gelegentlich übernahm er Botengänge zum Verlag nach München. Das Beschäftigungsverhältnis endete mit dem Tod Doderers im Jahr 1966.
Wer mit Wolfgang Fleischer über Doderer sprach, dem konnte nie entgehen, dass er mit diesem noch eine Rechnung offen hatte. Es war diese Rechnung, die er mit seinen beiden Doderer-Büchern zu begleichen suchte. Eine leichte Ranküne sprach bereits aus dem Titel des größeren von beiden: „Das verleugnete Leben“. Wenn etliche Doderer-Leser dies übel nahmen, so wurde dabei verkannt, welch enorme, nie mehr nachholbare Arbeit sich Fleischer mit den Recherchen zu diesem Buch aufgeladen hatte. Ungezählte Zeitzeugen, meist Freunde und Bekannte Doderers, die Fleischer noch aus früheren Jahren persönlich kannte, antworteten wohl nur ihm so ehrlich und vergleichsweise rückhaltlos.
So entstand für Fleischer auf Umwegen ein Bild des Autors, das ihn selbst schockierte. Und dem er unversehens befremdet gegenüber stand. Besonders der Umgang Doderers mit seiner Vergangenheit während der Zeit des Nationalsozialismus machte Fleischer verständlicherweise Probleme. Die enorme Nachhaltigkeit, mit der er seine Aufgabe indes zu Ende führte, wurde davon nicht beeinträchtigt. Der inzwischen kritisch von ihm beäugte Autor wurde mit einer Darstellung seines Lebens – durch die Kritik an ihm hindurch – in extenso gewürdigt. Auf diese Weise entstand eine nicht untypische Erst-Biographie: Ein Werk, das nicht aus trockener Faktenforschung, sondern aus dem fühlbaren Bedürfnis unternommen wurde, sich endlich Klarheit über eine Person zu verschaffen, die man kannte.
Wer Fotos des jungen Wolfgang Fleischer sieht, als er 1963 zu Doderer kam, kann sich des Verdachtes nicht erwehren, dass Doderer auch ein optisches Gefallen an ihm fand. Das Vertrauen, das er ihm entgegen brachte, mündete nach Doderers Tod und in Abstimmung mit der Witwe Doderers in den Entschluss, die Verantwortung für den Nachlass auf genau drei Personen zu übertragen. Erstens auf Horst Wiemer, den langjährigen Lektor Doderers beim Beck- bzw. Biederstein Verlag. Zweitens Dietrich Weber, den Verfasser der ersten, bahnbrechenden Dissertation. Und drittens: Wolfgang Fleischer, obwohl dieser als ehemaliger Sekretär kaum fachliche Qualifikationen mitzubringen schien. Das sah dieser genauso, wie er mir selbst erzählte. Also gab er seine Rolle ab, und zwar an einen Kommilitonen, mit dem er schon damals gut befreundet war: Wendelin Schmidt-Dengler. Dieser unterzog sich der Aufgabe, die er von Fleischer geerbt hatte, mit beispielhafter Intensität. Und stand bis zu seinem Tod im Jahr 2008 mit Fleischer in engem und regelmäßigem Kontakt.
Mitte der 90er Jahre, als seine beiden Doderer-Bücher vor der Vollendung standen, hatte sich Fleischer von Doderer so gut wie abgenabelt. Führte mich aber, als wir uns kennenlernten, noch immer bereitwillig zu typischen Doderer-Schauplätzen. So etwa zum (damals in den letzten Zügen vor der zwischenzeitlichen Schließung stehenden) „Blauensteiner“, also in das von Doderer favorisierte Gasthaus „Zur Stadt Paris“. Zu halböffentlichen Séancen, zu denen uns Fleischer Zugang verschaffte, versammelte sich damals immer noch eine halbliterarisch anmutende Wiener Bohème. Der Schauspieler Klaus Maria Brandauer erschien, um sich im Blauensteiner ein selbst mitgebrachtes Gulasch aufwärmen zu lassen. (Der Küche vertraute er offenbar nicht.) Etwas doderesk Halbwelthaftes haftete der Atmosphäre immer noch an. Auch der ‚Doderer-Stammtisch’, an dem Doderers Schwester Astri von Stummer früher das große Wort geführt hatte, tagte damals noch regelmäßig im Blauensteiner (bevor man ins Café Zartl umzog und sich anschließend auflöste). Dies sei hier angefügt, weil es immerhin beleuchtet, wie eng Reste von Doderers Welt in Wiener Künstlerkreisen auch später noch lebendig schienen. Fleischer war immer noch Teil davon. Wenn auch am Rande.
Er selbst, geboren 1943 in Salzburg, hatte mit dem Erzählungsband „Unverbindliche Leidenschaften“ (Residenz Verlag 1968) eine schriftstellerische Existenz zu begründen versucht. 1970 folgte mit „Perpetuum mobile“ ein Theatertext im Rowohlt Verlag. Außerdem Drehbücher, Hörspiele, Essays, eine Monographie über den Maler Markus Prachensky. Es mag kein Zufall sein, dass Fleischer im „Verleugneten Leben“ auf diese Aktivitäten, die ihn mit Doderer verbanden, nicht mehr zu sprechen kommt. Er hatte irgendwann mit diesem Teil seines Lebens abgeschlossen. Um ihn zu verleugnen?
Fleischer war, als ich ihn kennenlernte, Anfang 50, hatte sich jedoch einen deutlich studentischen Habitus bewahrt. Sowohl im Zigaretten- wie im Alkoholkonsum bewandert, schuf er sich indes – gemeinsam mit Anna Dobler, die er später heiratete – einen entschieden gesünderen Gegenpol. In Niederösterreich besaßen die beiden ein Haus, wo man begonnen hatte, sich mit der Bepflanzung von Garten- und Schwimmteichen zu beschäftigen. Dies wurde mit den Jahren zu einer Einnahmequelle. Es gelang Fleischer, ungeklärte Fragen zur Fortpflanzung bestimmten Seerosen-Arten zu klären, deren Vermehrung bis dahin für unmöglich galt. Fleischer hat den Schwimmteichen mehrere Publikationen gewidmet. Zwischen Arbesthal und der Wohnung in Wien pendelte man auch später noch regelmäßig.
Den Doderer-Lesern und der Doderer-Forschung hat Fleischer – vor allem mit dem „Verleugneten Leben“ – einen eminenten Grundstein für die Beschäftigung mit dem Autor und seiner Zeit hinterlassen. Vermutlich ist es fast mehr ein Werk der Primär-, nicht der Sekundärliteratur. Auch mit seinem kundigen Vorwort zu Doderers Essays („Die Wiederkehr der Drachen“) wird er präsent bleiben. Wolfgang H. Fleischer starb nach längerer Krankheit am 22. August 2014 in seinem Haus in Niederösterreich. Er wurde 71 Jahre alt.
Kai Luehrs-Kaiser
Herzlichen Dank fuer diesen Nachruf.
Gern werde ich hoffentlich bald „Das verleugnete Leben“ lesen.
Lieber Kai Luehrs,
was für ein erstaunliches Leben, und was für ein bemerkenswerter Nachruf!
Herzlichen Dank!
lww