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Über Heimito von Doderer – Alexandra Kleinlercher im Gespräch mit Wolfgang Fleischer

Das Verhältnis zu Deutschland

A.K.: Nach dem 2. Weltkrieg hat sich Heimito von Doderer oft sehr abschätzig über die Deutschen geäußert, was umso mehr verwundert, als sowohl die Familie seiner Großeltern mütterlicherseits, als auch die seines Großvaters väterlicherseits Deutsche waren, ebenso wie seine zweite Frau. Hat er sich selbst nie als Deutscher gefühlt, ich meine nicht aus ideologischen Gründen, sondern wegen seiner deutschen Herkunft?

W.F.: Nein, er hat in den 60er Jahren, das heißt in der Zeit, in der ich ihn kannte, sehr den Österreicher hervorgekehrt, und das bei allen Gelegenheiten. Er war nach wie vor antideutsch. Das kann aber auch zu seinem Rollenspiel als Staatsdichter gewissermaßen gehört haben.

A.K.: Das muß für seine zweite Frau, Emma Maria Thoma, die aus Bayern stammte, doch beleidigend gewesen sein.

W.F.: Er hat die Bayern ausgenommen. Das steht zwar nirgends, gesagt hat er es aber: Jedes Land braucht einen breiten Arsch und Lederhosen auf dem es solide sitzt, deswegen hat Deutschland Bayern und Österreich Tirol.

A.K.: Ich dachte, Tirol und Bayern mochte er überhaupt nicht?

W.F.: Mögen nicht. Sehr höflich ist dieser Ausspruch sowieso nicht. Das ist ja auch kein Kompliment. Ich glaube, er hat die Deutschen im Krieg hassen gelernt: das Kommando, dieses Herumgeschobenwerden.

A.K.: Ich frage mich, ob er es nicht wie viele Österreicher gemacht hat, die nach dem Krieg den Deutschen die Schuld zugewiesen haben, um nicht selbst Verantwortung übernehmen zu müssen?

W.F.: Bei Doderer ist das schwieriger, weil er doch recht eindeutig als illegaler Nazi mitverantwortlich war. Von 1936 bis 1938 hat er, wie Sie wissen, in Dachau gewohnt. Näheres habe ich darüber in der Biographie nicht geschrieben, weil mir für Recherchen in deutschen Archiven keine Zeit mehr blieb, es war auch nicht notwendig, aber ausgerechnet sein bester Freund Milo war Offizier. Was für ein Offizier kann er in Dachau schon gewesen sein?

A.K.: Sie meinen, daß er Aufseher im KZ war?

W.F.: Sicher. Es gab außer der SS im KZ keine Wehrmachtsabteilung. Ich war in Dachau und habe nachgefragt. Als Doderer wieder in Wien war, hat Milo die Wohnung von Doderer in Dachau übernommen. Doderer ist später noch ein Mal hingefahren und hat eine Woche bei Milo gewohnt.

A.K.: Doderer hat in seinem Tagebuch geschrieben, er hätte über Dachau alles gewußt. Vielleicht war das gar nicht übertrieben und er wußte aufgrund seiner Freundschaft mit Milo tatsächlich mehr als andere?

W.F.: Ja, das ist absolut anzunehmen. Das war auch nach dem Krieg seine übliche Rechtfertigung und häufig wiederholte Darstellung, daß er 1938 von Dachau zurückgekommen sei und sofort alle vor dem, was auf sie zukommt, gewarnt habe. Vor allem die Juden in seinem Bekanntenkreis. Nun halte ich das aber für eine nachträglich geschönte Version. Denn gegen Gusti [Auguste Hasterlik, Doderes erste Frau jüdischer Herkunft] hat er sich genau in dieser Zeit noch höchst grauslich benommen und „Alibijuden“ sind keine aufgetaucht.

A.K.: Man kann also nicht nachvollziehen, ob seine Darstellung tatsächlich stimmt.

W.F.: Nein. Seine späteren beiden „Alibijuden“, die er umschwärmt hat und die ihn hofiert haben, waren Hans Weigel und Hilde Spiel. Aber beide haben ihn in der Vorkriegszeit nicht gekannt, sondern erst Anfang der 50er Jahre kennen gelernt.

A.K.: Nochmals zu seiner Beziehung zu Österreich und Deutschland. 1922 beschwert er sich in einer Tagebucheintragung über seine Familie. Er wirft den Männern der Familie vor primitive, ideologische deutsche Lümmel zu sein. Bedeutet das, daß er 1922 noch für ein Österreich als selbständigen Staat und gegen einen Anschluß an Deutschland war oder geht es ihm hier um Antisemitismus innerhalb seiner Familie?

W.F.: Die Beschimpfung der Familienmitglieder war sozusagen obligat für ihn und dafür war ihm jedes Argument recht.

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Copyright © Alexandra Kleinlercher, Berlin 2006.
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