Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen
Gegenwartsliteratur. Das KLG auf CD-ROM. (Die kompletten
Informationen des Loseblattwerkes KLG einschließlich
66. Nachlieferung. CD-ROM für die Betriebssysteme
Windows 95, Windows 98, Windows NT 4.0.) Hg. v. Heinz Ludwig
Arnold. München: edition text + kritik 2000. EUR 78,-/
SFr 143,-
Preis jeder Nachlieferung auf CD-ROM EUR 12,- / SFr 23,-
(Preisangaben für die Ausgaben ab 2002)
Wer könnte ernsthaft bestreiten, daß das 1978
als Loseblattsammlung begründete und durch die Jahre
immer besser und ausführlicher gewordene KLG ein
"unentbehrliches Hilfsmittel für Forschung, Lehre,
Literaturkritik und Liebhaber" (Hans Albrecht Koch) ist?
Seit 1999, seitdem das KLG zusätzlich in einer
wesentlich benutzerfreundlicheren Form, auf CD-ROM,
erscheint, ist ein Bestreiten seiner Verdienste noch
abwegiger geworden. Oder anders: auch wenn man bei
Lektüre im KLG nicht mit jedem der darin publizierten
Essays einverstanden ist, so wird man doch die Summe des
dort versammelten Wissens stets höher bewerten als die
eigene Kritik an dem einen oder anderen Detail.
Nicht anders ist es dem Verfasser dieser Rezension beim
Blättern, Recherchieren und Lesen im KLG auf CD-ROM
ergangen. Vor einem solchen Hintergrund verzichtet er daher
(und gar nicht ungern) auf eine kleinliche Kritik am Detail,
müßte diese doch, wollte sie die
"Unentbehrlichkeit" des KLG auch nur halbwegs in Zweifel
ziehen, schlechthin eine Vielzahl von Kritikpunkten
aneinanderreihen. Ein solches Vorhaben würde
voraussetzen, das Kritische Lexikon zur deutschsprachigen
Gegenwartsliteratur in seiner Gänze zu lesen, es mithin
auf eine Weise zu benutzen (und zu beurteilen), die der
Aufgabe eines Lexikons, als Nachschlagewerk zusammenfassende
Informationen bereitzustellen, nicht entspricht.
Es galt daher, anhand von Stichproben zu
überprüfen, ob das KLG dieser zuletzt genannten,
zentralen Aufgabe gerecht wird. Angeregt vom Ort dieser
Besprechung wurden die Stichproben bei Heimito von Doderer
und Autoren seines literarischen Umfeldes gemacht. Um es
kurz zu machen: das KLG wird.
Heimito von Doderer erscheint (wie alle anderen Autoren, die
aufgenommen wurden) mit einem konzisen Biogramm, einer Liste
der ihm verliehenen Preise, einem einführenden Essay zu
Leben und Werk und einer nach Primär- und
Sekundärliteratur (und je nach Autor noch weiter)
differenzierten Bibliographie.
Eine Recherche zu Heimito von Doderer innerhalb des
KLG-Volltextes liefert neben den Beiträgen zum
Gesuchten vorhersehbare Verweise auf sein näheres bzw.
erweitertes literarisches Umfeld (Albert Paris
Gütersloh, Herbert Eisenreich, Dorothea Zeemann resp.:
Friedrich Achleitner, H. G. Adler, H. C. Artmann, Hans
Lebert, George Saiko, György Sebestyén, Oswald
Wiener), aber auch durchaus überraschende Hinweise auf
Thomas Bernhard, Herbert Meier, Robert Menasse, Herbert
Rosendorfer und Joseph von Westphalen.
Zudem bietet das KLG auf CD-ROM weitere (und
kombinierbare) Suchoptionen, die die Möglichkeit
eröffnen, das Ergebnis vorzustrukturieren, und erlaubt
breitgefächerte Abfrage- und
Recherchemöglichkeiten über eine Vielzahl
anwählbarer Indexe, als da sind:
Inhalt, Volltext, Geburtsjahre, Todesjahre, Länder,
Preise und Auszeichnungen, Jahr der Preisverleihung,
Akademien/Gruppen, Namen, Primärliteratur, Verlage
(Primärliteratur), Erscheinungsjahre
(Primärliteratur), Übersetzungen ins Deutsche,
Erscheinungsjahre (Übersetzungen), Theaterstücke,
Bühnen, Regie (Theater), Uraufführungsjahre
(Theater), Opern, Regie (Oper), Uraufführungsjahre
(Oper), Rundfunkarbeiten, Sender (Rundfunk), Regie
(Rundfunk), Erstaufführungen (Rundfunk), Filme, Regie
(Film), Sender (Film), Erstaufführungen (Film),
Kabarett, Tonträger, Rezensenten
(Sekundärliteratur), Zeitungen/Zeitschriften
(Sekundärliteratur), Erscheinungsjahre (Rezensionen),
Interviewer und Interviews.
Wobei allerdings (und stellvertretend für alle Indexe)
zu bemängeln ist, daß die Listen der Preise und
Auszeichnungen nicht jährlich aktualisiert werden,
sondern daß Preise lediglich dann verzeichnet sind,
wenn im KLG vertretene Autoren diese erhalten haben und
dieses Faktum bereits Eingang in den zugehörigen
Artikel gefunden hat. So entsteht, etwa beim aufgrund
medienwirksamer Inszenierung nahezu unübersehbar
gewordenen Ingeborg-Bachmann-Preis der irritierende
Eindruck, das KLG wolle dem Leser (der es ob der medialen
Präsenz des Preises naturgemäß besser
weiß) weismachen, dieser sei zwischen 1992 und 1994
nicht vergeben und nach 1995 überhaupt eingestellt
worden.
Datenbestand und Suchergebnis zu Heimito von Doderer
entsprechen ganz ohne Frage dem, was man von einem Lexikon
wie dem KLG erwarten darf. Ähnlich positive Resultate
lassen sich auch bei gezielt oder beliebig ausgewählten
anderen Autoren erzielen.
Zur Beurteilung des KLG galt es jedoch, noch eine andere
Frage zu beantworten, nämlich, inwiefern es ihm
gelingt, seinem im Titel formulierten Auftrag, ein Lexikon
der "deutschsprachigen Gegenwartsliteratur" zu sein
erfüllt und ob es dem damit verbundenen Anspruch auf
Aktualität gerecht wird.
Die Voraussetzungen dafür sind denkbar gut: Das KLG auf
CD-ROM erscheint als Fortsetzungswerk im Abonnement mit drei
jährlichen Nachlieferungen. Jede CD-ROM enthält
den kompletten, aktualisierten und um neue Beiträge
ergänzten Bestand des KLG. Das KLG (inkl. der hier
besprochenen 66. Nachlieferung) präsentiert stattliche
627 Autoren und Autorinnen, beginnend bei Achleitner
(Friedrich) und endend mit Zwerenz (Gerhard). Das Konzept
kontinuierlicher Nachlieferung neuer Daten ist unmittelbar
einleuchtend: Als Lexikon ist das KLG immer im Entstehen,
aber niemals vollendet: Falsches kann so ohne weiteres
korrigiert, Fehlendes leicht ergänzt und
Überkommenes schlicht ersetzt werden; ganz zweifellos
exzellente Voraussetzungen für ein Lexikon der
"deutschsprachigen Gegenwartsliteratur". Ausschlaggebend
für die Bereitstellung aktueller Daten ist jedoch nicht
das Konzept, sondern dessen Umsetzung. Und eben diese
könnte zuweilen dann doch noch ein wenig besser
sein.
So wirbt die 66. Nachlieferung des KLG unter anderem mit
einem "aktualisierten" bzw. "ergänzten" Biogramm von
Ernst Jandl. Dieses vermerkt - durchaus aktuell (der
Redaktionsschluß der Nachlieferung dürfte im
Oktober 2000 gewesen sein) - den Tod des Autors am 9. Juni
2000. Weniger erfreulich ist, daß die 16 Jahre, die
seinem Tod vorausgingen, offenbar so ereignislos verlaufen
sind, daß darüber zu berichten sich nicht lohnte.
Der zugehörige Essay sowie die Bibliographien von
Primär- und Sekundärliteratur bleiben auf dem
Stand von Ende 1990. Immerhin, die nächste
(umfassende?) Aktualisierung des Jandl-Artikels ist für
Juni 2001 (68. Nachlieferung) angekündigt.
Ein anderer Todesfall: Daß der am 5. Dezember 2000 an
Herzversagen verstorbene H. C. Artmann in der 66.
Nachlieferung des KLG noch zu den Lebenden gerechnet wird,
war aufgrund des vor diesem Ereignis liegenden
Redaktionsschlusses nicht zu vermeiden, mithin ein geringer
Mangel, der allerdings - glaubt man den
Vorankündigungen zur 67., 68., und 69. Nachlieferung -
so schnell nicht behoben werden soll. Allein der Tod eines
Autors - so stellt man fest - ist offenbar kein zwingender
Anlaß für eine Aktualisierung.
Gerechterweise muß hier angemerkt werden, daß
vor dem KLG alle toten Autoren gleich sind. Und dies auch
dann, wenn sie, wie beispielsweise Arno Schmidt, im Verlag
des KLG, der edition text + kritik, mit einer Zeitschrift,
dem "Bargfelder Boten", sowie einer Vielzahl buchstarker
Sonderlieferungen präsent sind. Auch Schmidts (im
Grunde nächstliegende) Bibliographie wird im KLG nicht
laufend aktualisiert, sondern endet schlicht im Jahr
1990.
Aber auch lebende Autoren scheinen manchmal in Vergessenheit
zu geraten, und keineswegs nur unbekannte: so datiert etwa
der Artikel über Friedrich Achleitner von 1983, der zu
Franz Josef Degenhardt von 1984 und der über Andreas
Okopenko gar von 1982.
Ziel des KLG ist es (laut eigener Aussage) gerade auch "die
entstehende Literatur" zu berücksichtigen. Neben
bekannten Namen sollen daher auch "weniger bekannte und
jüngere Autorinnen und Autoren" vorgestellt werden, die
"schon einige Bücher und erkennbare Ansätze zu
einem interessanten und wichtigen Werk veröffentlicht
haben."
Recherchiert man zur Probe die (bisher fünf)
Förderpreisträger zum Heimito von
Doderer-Literaturpreis, sämtlich jüngere Autoren
mit teils mehreren größeren Publikationen, darf
man mit Bedauern feststellen, daß weder Stephan
Wackwitz (1996) noch Thomas Meinecke (1997) oder Kathrin
Schmidt (1998) und auch nicht Werner Fritsch (1999) oder
Doron Rabinovici (2000) mit Autorenartikeln im KLG vertreten
sind. (Am Rande fällt überdies auf, daß auch
der Dodererpreis selbst noch keinen Eingang in die Liste der
vom KLG aufgeführten Preise gefunden hat.)
Ob das Fehlen dieser fünf "jüngeren" Autoren
Zufall ist oder das Ergebnis eines wohlüberlegten
Auswahlverfahrens, spielt bei der Beurteilung dieses Faktums
keine Rolle: es ist zu bedauern, aber nicht vorzuwerfen.
Ganz anders verhält es sich da schon bei Martin
Mosebach, dem Doderer-Preisträger des Jahres 1999,
einem nicht eben unbekannten Autor mit respektablem Oeuvre,
der ebenfalls nicht unter den 627 Autoren des KLG erscheint
und lediglich als Rezensent gelistet wird.
Es wäre müßig, dem KLG anzukreiden,
daß es die deutsche Gegenwartsliteratur nicht komplett
erfaßt; so reich an Informationen ein Lexikon auch
sein mag, wirklich vollständig kann es niemals sein.
Daß im KLG nach Meinung des Rezensenten der eine oder
andere Autor fehlt, sei daher dem Herausgeber weniger als
Vorwurf denn als Anregung vorgetragen:
Warum kennt das KLG Horst Bosetzky, nicht aber Gisbert Haefs
und Wolf Haas?
Warum Maxim Biller, nicht aber Rafael Seligman und Doron
Rabinovici?
Warum Max Goldt, nicht aber Bernd Eilert, Thomas Kapielski
und F. K. Waechter (zumindest der letztgenannte gelangt mit
der 67. Nachlieferung ins KLG - im Alter von 64
Jahren!)?
Nicht daß die aufgenommenen Autoren ohne guten Grund
im KLG vertreten wären; aber auch von den fehlenden
wird man schwerlich behaupten können, sie fehlten zu
Recht.
Insofern muß hier leider festgestellt werden,
daß das KLG, seinen im Titel erhobenen Anspruch, ein
Lexikon der "deutschsprachigen Gegenwartsliteratur" sein zu
wollen, nur eingeschränkt erfüllen kann, da die in
ihm enthaltenen Informationen nicht immer in der gebotenen
aktuellen Form präsentiert werden, genauer: konzeptuell
bedingt nicht aktuell präsentiert werden
können.
Gäbe es das KLG auf CD-ROM nicht, dann müßte
es erfunden werden. Doch da es nun einmal in dieser
zeitgemäßen Form existiert, wäre es zu
begrüßen, wenn die technischen Möglichkeiten
der Aktualisierung, die das Medium bietet, auch realisiert
würden. Der Grund für die unzureichende
Realisierung des Möglichen ist zweifellos das
fortgesetzte Erscheinen des KLG als Loseblattsammlung
parallel zur CD-ROM. Denn eben die losen Blätter
bestimmen das Maß an Aktualität auch für die
digitale Ausgabe. Jede Nachlieferung auf CD-ROM könnte
ohne gravierende Kostensteigerung neben den neu
bereitgestellten Beiträgen jeweils auch hunderte von
Bibliographie- und Biogrammseiten sowie die Listen der
Preise und Auszeichnungen bzw. der Erstaufführungen
(etc. pp.) aktualisieren. Da eine Nachlieferung in losen
Blättern bei einem Preis um die 35,- DM einen Umfang
von 250 Seiten im Regelfall nicht überschreiten darf,
bleibt die CD-ROM in dem, was sie an aktuellen
Beständen bieten könnte, auf das beschränkt,
was die Loseblattsammlung technisch vorgibt. Ohne diese aus
verlegerischer Sicht gewiß notwendige
Beschränkung käme es zu einer getrennten
Entwicklung der beiden Ausgaben und die dann de facto
zweitklassige Loseblattsammlung wäre binnen
kürzester Zeit gegenüber der CD-ROM nicht mehr
konkurrenzfähig; mithin eine Entwicklung, die
Abonnenten des KLG, die nicht auf die CD-ROM-Ausgabe
umsteigen können oder möchten, kaum klaglos
hinnehmen würden.
In einem Satz: Das KLG auf CD-ROM ist mit das beste und
effektivste Instrument, das dem an der deutschen
Gegenwartsliteratur interessierten Leser zur Verfügung
steht, aber welche grandiosen Perspektiven würden sich
ergeben, welche enormen Potentiale ließen sich
realisieren, könnte man sich beim Verlag
entschließen, die Loseblattsammlung einzustellen und
das KLG nurmehr auf CD-ROM fortzuführen.
Gerald Sommer
Mail an den Rezensenten
Copyright © Gerald Sommer, Berlin 2001.
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