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Slawomir Piontek: Der Mythos von der österreichischen Identität.

Slawomir Piontek: Der Mythos von der österreichischen Identität. Überlegungen zu Aspekten der Wirklichkeitsmythisierung in Romanen von Albert Paris Gütersloh, Heimito von Doderer und Herbert Eisenreich. Frankfurt a. M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Peter Lang 1999 (Europäische Hochschulschriften Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur; 1713). 250 S., Broschur, EUR 40,40 / SFr 64,- / US$ 49,95 / £ 29,-

Das "Hauptanliegen dieser Arbeit" ist es, so der Klappentext, die "Eigenschaften" des literarischen "Modell[s] der österreichischen Identität" zu fixieren und "die Methoden seiner Transformation in einen literarischen Mythos von der österreichischen Identität zu rekonstruieren". Titel und Klappentext lassen an eine republikanische Version von Magris Habsburgischem Mythos denken, die Qualitäten, die den Titel des Originals auszeichnen und die Magris Opus seit Jahrzehnten in den Bestenlisten der Literaturgeschichtsschreibung halten, gemeint sind Simplizität und Griffigkeit der Titelformel, lassen sich indes weder im Titel der Fortsetzung noch in dieser selbst feststellen, dafür ist sie einfach zu solide gearbeitet.

Eine vergleichende Analyse von Sonne und Mond, Die Strudlhofstiege und Die abgelegte Zeit ist fraglos keine leichte Aufgabe. Mit dem Versuch, anhand eines solchen Vergleichs einen gültigen literarischen "Mythos von der österreichischen Identität" rekonstruieren zu wollen, ist ihr Scheitern schon vorprogrammiert. Piontek scheint dies erkannt zu haben und kassiert mit dem die Zielvorstellung signifikant einschränkenden Subtitel "Überlegungen zu Aspekten der Wirklichkeitsmythisierung" präventiv die unmittelbar zuvor geweckten - allzu großen - Erwartungen. Die "Überlegungen zu Aspekten" (oder auch das ,Scheitern') verlaufen indes in geordneten Bahnen. Die Arbeit ist sehr übersichtlich und systematisch: die Einleitung erklärt knapp und präzise, was den Leser erwartet, die zu verwendenden Begriffe (Mythos und insbesondere literarischer Mythos) werden vorab geklärt und klar differenziert, die drei Romane werden nacheinander und ausgewogen abgehandelt, der abschließende Vergleich stellt die wesentlichen Aspekte der vorangegangenen Einzelanalysen übersichtlich nebeneinander.

Die Untersuchungen der einzelnen Werke orientieren sich an der letztlich bescheidenen Maßgabe einer "Analyse der Umsetzung einer Idee [die der österreichischen Identität, G.S.] in einen literarischen Text, auf die Schöpfung eines literarischen Mythos" (S. 8). Im Fall von Sonne und Mond, darin Gütersloh ganz unverhohlen Mythologeme integriert, erscheint Pionteks Fragestellung bei der offensichtlichen Tendenz des Autors zur Mythisierung der Wirklichkeit unmittelbar plausibel. Sein Gang durch das Werk gerät entsprechend überzeugend und liefert im Einzelfall wesentliche Beiträge zum Verständnis dieses dem Leser oft so unverständlich bleibenden Werkes; man vergleiche da etwa seine von zwei divergierenden Angaben zum Baujahr des Adelseher-Hofs, 1516 und 1556, ausgehenden Ausführungen zur Idee des universalen Reiches (S. 99 - 104).

Im Unterschied zu Gütersloh ist Doderer, und Piontek bemerkt dies gleich eingangs seiner Analyse der Strudlhofstiege, ein "Dichter der Erinnerung" (S. 117). Entsprechend bedarf Piontek, um in diesem Roman überhaupt Tendenzen zur literarischen Mythisierung der Wirklichkeit in glaubwürdiger Weise ausfindig machen zu können, zunächst einer vorbereitenden Analyse von Doderers "Athener Rede. Von der Wiederkehr Österreichs" (vgl. S. 119 - 122). Die darin der politischen (als der anerkannten) Geschichte entgegengesetzte Geschichte einer österreichischen Mentalität oder Identität, dient ihm als Grundlage für die Erforschung einer literarisierten österreichischen Identität in der Strudlhofstiege.

Es soll hier nun gar nicht bestritten werden, daß dieses Werk in der einen oder anderen Weise "in epischer Gestalt die Botschaft der ,Athener Rede' wider[spiegelt]" (so Andrew Barker bereits 1996 auf dem Doderer-Symposion in Edinburgh), es bleibt jedoch zu diskutieren, ob eine schlicht-synthetisierende, wenn auch dreistufige Behauptung wie: "Die Wirklichkeit, die Doderer in Die Strudlhofstiege ins Leben ruft, ist keine greifbare Realität mehr, sie ist eine erinnerte Wirklichkeit, ein Mythos." (S. 123) als argumentative Grundlage einer literaturwissenschaftlichen Analyse akzeptiert werden kann oder werden darf. Stimmt man ihr zu, wird der literarische Mythos geradewegs zu einer omnipräsenten Konstante der Literatur erhoben und kann folglich überall dort angetroffen werden, wo "erinnerte Wirklichkeit" angenommen werden kann.

Dementsprechend fällt es Piontek nicht schwer, Mythisierungstendenzen in der Strudlhofstiege dingfest zu machen. Die in der Folge aufkommenden Interpretationsalgorithmen sind jedoch nicht immer hilfreich, wenn es darum geht, eine Textpassage genauer zu analysieren. Ausgehend von der in der Strudlhofstiege prominenten Erinnerungsmetapher vom "grüne[n] Unterwasser-Licht" genügt Piontek etwa ein "Erscheinen der Attribute ,grün' und ,Wasser'" (S. 137) zur Identifikation von Erinnerungsmetaphern bzw. Mythisierungstendenzen, die, da Wasser und Grün in der von Doderer beschriebenen (erinnerten) Wirklichkeit - aber eben auch in der (der Literatur als Modell zur Verfügung stehenden) profanen Realität - zumeist gemeinsam erscheinen, daher notorisch und also überaus zahlreich sind.

Ein Urteil über die Methode fällt leicht, eine Beurteilung der von Piontek erarbeiteten (teilweise durchaus plausiblen) Erkenntnisse zur Strudlhofstiege indes um so schwerer, da diese, allein aufgrund eines zweifelhaften methodischen Ansatzes nicht pauschal verworfen werden können. Es sei hier allerdings auch angemerkt, daß in den Tagebuchreflexionen der Tangenten, welche die Entstehung der Strudlhofstiege begleiten, der Begriff Mythos kein einziges Mal erwähnt wird.

Die Ausführungen zu Eisenreichs Romanfragment Die abgelegte Zeit vermögen dagegen wieder mehr zu überzeugen, was sich jedoch auch damit begründen läßt, daß Eisenreichs Prosa der Interpretation weniger Spielraum läßt, da deren "Mythisierungsversuche an der Textoberfläche, teilweise in den Kommentaren des Erzählers, teilweise in Gesprächen der Romanfiguren" (S. 175) liegen. Gleichwohl zählen die systematische Aufarbeitung von Eisenreichs Position sowie die zum Schluß vorgetragene vergleichende Synthese der vorangegangenen Einzelanalysen zu den Pluspunkten dieser Arbeit, die, obschon per se zum Scheitern verurteilt, ihre aussichtslose Aufgabe dennoch mit bemerkenswerter Gelassenheit angeht und mit angemessener Routine erledigt.

Gerald Sommer

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Erschienen in: "Schüsse ins Finstere". Zu Heimito von Doderers Kurzprosa. Hrsg. v. Gerald Sommer u. Kai Luehrs-Kaiser. Würzburg: Königshausen & Neumann 2001 (Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft; 2), S. 276 - 278. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Copyright © Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2001.
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