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Kurt Adel: Die Literatur Österreichs an der Jahrtausendwende.

Kurt Adel: Die Literatur Österreichs an der Jahrtausendwende. Frankfurt a. M., Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien: Peter Lang 2001. 288 S., Broschur, EUR 45,50

Kurt Adels "Die Literatur Österreichs an der Jahrtausendwende" zählt fraglos zu den ungewöhnlichsten Neuerscheinungen der letzten Zeit. "Das Buch", so heißt es im Klappentext, "trägt der Entwicklung der europäischen Literatur der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts Rechnung, indem es trennt zwischen sprachbezogener Dichtung, die in Österreich in der Wiener Gruppe ihre stärkste Position hat, und weltbezogener Dichtung, von der Erzählung über die Frauenbewegung und die Themen Nationalsozialismus und Exil über religiöse Dichtung zum Sachbuch verschiedener Richtungen."

Welche methodologischen Gründe den Autor zu einer solchen Rubrizierung bewogen haben und was genau er mit ihr zu erreichen sucht, teilt er uns freilich nicht mit, weder im Vorwort noch anderswo. So bleibt dem Leser, da Adel auch darauf verzichtet, Entwicklungslinien herauszuarbeiten, denn nur übrig, den zweiten Abschnitt des Klappentextes als Quasibegründung zu akzeptieren: "In mehr als 600 Einzeldarstellungen entsteht ein Panorama, das sich in zwei Registern dem Leser eröffnet, das aber auch in sorgfältiger Anordnung als Literatur-Landschaft gelesen werden kann." Um was geht es nun in Kurt Adels Kompendium. Um die österreichische Literatur aus den "Jahren seit 1985", wobei der Begriff eher weit gefaßt und eine Beschränkung auf "im heutigen Österreich Geborene und hier Lebende" abgelehnt wird, zudem bespricht Adel nicht selten auch vor 1985 erschienene Werke. Die Vielzahl der zwischen drei Zeilen und selten mehr als eine Druckseite umfassenden "Kurzdarstellungen" soll, so Adel, eine "bruchlose Folge" ergeben, aus der dann ein "Gesamtbild" der österreichischen Literatur "er-lesen werden kann" (S. 7).

Adel (* 1920), der als Autor von Literaturgeschichten und zahlreichen Aufsätzen hervorgetreten ist (darunter auch mit einem Beitrag zu Doderer: "Heimito von Doderer und die Metapher". In: Österreich in Geschichte und Literatur 12 (1968), H. 2, S. 148 - 158), also fraglos über reichlich philologische Erfahrung verfügt, verzichtet in "Die Literatur Österreichs an der Jahrtausendwende" leider darauf, seinem "Gesamtbild" der österreichischen Literatur eine den philologischen Konventionen entsprechende Struktur zu geben. Auch das Inhaltsverzeichnis verspricht dem Leser kaum Orientierung: es führt zwei Teile an, einen kurzen zu "SPRACHE" (S. 11 - 41) mit den Kapiteln "SPRACHE", "WIRKLICHKEIT", "Die Wiener Gruppe", "Konkrete Dichtung" und "Experimentelle Dichtung", und einen langen zu "WELT" (S. 43 - 260) mit den gattungsspezifisch, geographisch, mentalitätsgeschichtlich oder auch zeithistorisch definierten Unterkapiteln "Lyrik", "Haiku", "Erzähler", "Geschichten", "Historischer Roman", "Familien-Geschichte", "Frauen", "Sex", "Menschlichkeit", "Heimat", "Mundart", "Österreich", "Wien", "Kabarett", "Kinder", "Biographien", "Selbstfindung", "Altersweisheit", "Politik", "Zeitgeschichte", "Exil", "NS", "Kritik", "Böse Welt", "Protest", "Einsamkeit", "Düsterkeit", "Die Ausgeschlossenen", "Kriminalgeschichten", "Abenteuer", "Phantastisches", "Mystische Dichtung", "Religiöse Dichtung", "Antike" und "Sachbuch", mithin eine Einteilung, die dem Anspruch des Autors, ein "Gesamtbild" der österreichischen Literatur zu schaffen, durchaus zuträglich erscheint.

Die Frage, ob eine solche Art der Gliederung von Literatur diese en détail wie en gros oder auch ihrem Wesen nach besser erfassen kann als die ansonst in der Philologie gebräuchlichen Ordnungssysteme, möge hier offen bleiben. Schaut man sich indes die einzelnen Kapitel genauer an, zeigt sich schnell die eigentliche Crux von Adels Untersuchung, deren fehlende (philologischen Konventionen entsprechende) Systematik. Die Einzeldarstellungen richten sich in ihrer Zusammenstellung weder nach der Chronologie der behandelten Werke noch nach der alphabetischen Abfolge der Autorennamen. Da Autor und Verlag nicht nur auf den Abdruck einer Liste der behandelten Werke sondern auch auf ein nach Autoren, Herausgebern, Wissenschaftsautoren und erwähnten Personen aufgeschlüsseltes Namenregister verzichtet haben, lassen sich weder Werke noch Autoren systematisch erschließen. Der wissenschaftliche Gebrauchswert von Adels Untersuchung ist so, da eine Recherche einzelner Werke oder Autoren allein auf der Basis des undifferenzierten Namenregisters erfolgen muß, für jeden Leser, der schnell auf spezifische Informationen zugreifen möchte, stark eingeschränkt.

Wer dagegen die nötige Muße hat, Adels Untersuchung als "Literatur-Landschaft" oder "Gesamtbild" der österreichischen Literatur zu rezipieren, wird, sofern ihm im Einzelfall einige wenige, aber wesentliche Informationen zu Autor und Werk genügen, bei der schieren Menge von mehr als 600 Einzeldarstellungen in seinen Erwartungen wohl nicht enttäuscht werden; hier ein in seiner Kürze sicher extremes, hinsichtlich der Klarheit von Darstellung und Bewertung aber durchaus repräsentatives Beispiel für eine Einzeldarstellung:

"Josef Traxler ist der Sohn eines Pechers. Einfach und sorgfältig, mit Kindheitserinnerungen beginnend, erbaut er ein Denkmal für sein Handwerk (,Im Pechwald', 1992)." (S. 101, im Kapitel "Heimat")

Blättert man durchs Register, trifft man auf zahlreiche kaum oder gänzlich unbekannte Autoren, kommt aber auch nicht umhin zu bemerken, daß der 1966 verstorbene Heimito von Doderer mit 18 Einträgen vertreten ist. Er zählt damit neben Thomas Bernhard (24), Johann Wolfgang von Goethe (21) und Jesus Christus (25) zu den meistgenannten Personen; Gegenwartsautoren wie Peter Handke und Ernst Jandl kommen dagegen, trotz hoher Produktivität zwischen 1985 und 2000, nur auf je 13 Nennungen. Schlägt man die Eintragungen zu Doderer nach, so zeigt sich allerdings, daß diese vor allem auf von Adel vermutete Anspielungen auf (10 Fälle) bzw. auf mögliche Bezüge zu Doderer (3 Fälle) zurückgehen.

Fazit: "Die Literatur Österreichs an der Jahrtausendwende" ist weder ein Nachschlagewerk noch eine Literaturgeschichte. Als Sammlung vermischter Notizen eines altersweisen Philologen vermag dieses Vademekum zur österreichischen Literatur jenen Lesern Orientierung und Anregung zu geben, die solche wünschen oder ihrer bedürfen. Philologen jedoch werden es mit Adels Werk nicht leicht haben.

Gerald Sommer

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Copyright © Gerald Sommer, Berlin 2002.
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